Kommen Sie auch manchmal ins Grübeln darüber, ob frühere Generationen (also: vor ein paar hundert Jahren) sich auch Witze erzählt haben? Und was das für Witze waren? In welchen Situationen oder zu welchen Anlässen man Witze gemacht hat und worüber eigentlich gelacht wurde? Und vielleicht haben Sie sich auch gewundert: Sind die Witzen der Alten eigentlich heute noch lustig? Bringen sie uns zum Lachen, zum Schmunzeln, zum Prusten oder lassen uns verlegen wegschauen oder treiben uns gar die Schamröte ins Gesicht?

In der Ethica Complementoria (Erstdruck Nürnberg 1643), dem sogenannten Komplimentierbüchlein, eine praktischen Anstandslehre und handlicher Ratgeber zur erfolgreichen Konversation in sozial anspruchsvollen Situationen (z.B. bei Hofe, oder auf Hochzeitsfesten oder beim Gesellschaftstanz mit jungen, unverheirateten Frauen…), gibt es einen Witz. Er ist im Kapitel zu den “Gesellschaftskomplimenten” (also: Komplimente oder geistreicher Smalltalk bei geselligen Zusammenkünften) enthalten und lautet wie folgt:

Alſo ſtellete newlich einer eine Frage fuͤr / wie man vnter dreyen gewaſchenen Hembden / deren eins einer Frawen / das ander einer Nonnen vnd das dritte einer Jungfern zugehoͤrte / koͤnte ein jegliches kennen vnd vnterſcheiden? Ward ſolches alſo hoͤflich beantwortet:
Ein FrawenHembd wuͤrde erkent am hintern Theile / denn weil die Frawen gemeiniglich viel ſeſſen/ ſpoͤnden oder naͤheten / wuͤrde das Hintertheil deß Hembdes davon duͤnner. Das Nonnenhemd wuͤrde am vnterſten Theil erkaͤnt / weil dieſelb viel auff den Knien ſeſſen vnd beteten / dadurch das Hembd vnten gleich loͤchricht wuͤrde. Das Jungfern Hembd aber kennete man in der mitte / etc. [Blatt C5 verso]

Es geht also um die (nicht ganz ernst gemeinte) Frage, wie man von drei gewaschenen Unterhemden herausfindet, welches einer (Haus)Frau, welches einer Nonne und welches einer Jungfrau (also: einer unverheirateten Frau) gehört. – Das Hemd der Hausfrau ist leicht als das identifizierbar, welches am hinteren Teil (vulgo: am Hintern) fadenscheinig ist, denn die Hausfrauen sitzen typischerweise viel bei den häuslichen Arbeiten. Wir können hier davon ausgehen, dass die gemeinten Hausfrauen eher aus den sozialen Sphären eines städtischen Bürgertums oder dem Adel entstammen. Das Hemd der Nonne läßt sich ebenso einfach herausfinden: da diese regelmäßig und viel beten und dabei knien, sind ihre Unterhemden vorne, nämlich im Bereich der Knie durchgewetzt. Soweit sogut! Nun aber das Unterhemd der Jungfrauen: dieses erkenne man in der Mitte…

Rembrandt, 1606 - 1669 A Woman bathing in a Stream (Hendrickje Stoffels?) 1654 Oil on oak, 61.8 x 47 cm Holwell Carr Bequest, 1831 NG54 https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/NG54

A Woman bathing in a Stream
Rembrandt van Rijn 1654
https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/NG54

Ich habe diesen Witz einmal bei einem PosterSlam vor ein paar hundert DH Enthusiasten in Berlin gebracht (was man nicht alles tut um das Publikum zum Posterstand zu locken!) und erwartungsgemäß blieben die großen Lacher aus. Ein Kollege schlug dann aber folgende Lösung vor: es handle sich um ein Wortspiel mit der doppelten Bedeutung des Verbs “kennen” resp. “erkennen”, das nämlich im biblischen Sinne von “den Geschlechtsakt vollziehen” gebraucht werden kann. In diesem Sinne hieße das, man “erkennt” die Jungfrauen “in der Mitte”, ergo, auf recht profane (und daher witzige) Weise: man hat mit ihnen Sex. Das klingt einleuchtend. Damit hätte man einen ordentlichen Witz: ein Sprachspiel mit erotischer Pointe im “Hemd” eines kleinen Ratespiels. Das wird den anwesenden Jungfrauen die Schamröte ins Gesicht getrieben und sonst für Lacher gesorgt haben.

Ich wähnte mich also in Sicherheit, einen frühneuzeitlichen Witz gefunden und enträtselt zu haben und gleichzeitig den (empirisch natürlich nicht belastbaren) Beweis gefunden zu haben, dass alte Witze immer noch funktionieren können!

Aber: Im Text steht nichts davon, dass man die Jungfrauen in der Mitte erkennt. Sondern das Hemd der Jungfrauen. Und jetzt frage ich mich: ist hier das “Hemd” nichts anderes als ein Substitut für die Jungfrauen, ergo: es ist tatsächlich gemeint, dass man diese “in der Mitten erkennt”. Oder aber haben die Unterhemden unverheirateter Frauen irgendein besonderes Merkmal? Und outet sich derjenige, der dieses identifizieren kann, als jemand, der bereits einmal eine Jungfrau “erkannt” hat (ergo: der Witz liegt beim Entlarven der sexuell aktiven (jungen) Männer)? Oder doch etwas anderes?

Und was folgt aus diesem Befund für eine Kommentierung der Edition der Ethica Complementoria? Ist ein Witz kommentierungsbedürftig? Und falls ja: soll / muss er erklärt und aufgelöst werden für ein heutiges Publikum? Und welche Erklärung gebe ich? Was ist die (historische) korrekte Deutung des Witzes? Recherchiere ich frühneuzeitliche Unterhemden und -kleider von unverheirateten Frauen aus besserem Hause und suche nach verborgenen Features, die Licht in dieses sekundäre Dunkel bringen könnten? Oder gebe ich mich geschlagen und konstatiere stattdessen, dass die Bedeutung des Witzes “lost in translation” ist?

[Re-Blogged from my Greflinger – Digital Archive Edition Weblog, 2016-01-19]

Since summer is almost over and the fresh semester in Norway has already started, let’s make a plan for some blog posts I have been drafting during the last couple of weeks. Most likely, I will blog more than what I put on this “to-do-list” here – at least one post per month, additionally to the semi-regulary blogging on the Greflinger archive-edition website.

  • An overview of DH & pedagogy books, articles, and (web) resources – focussing on modern language, literature and cultural studies (Sep 2015)
  • A micro-study on gender distribution in journals (Aug 2015)
  • Textual criticism & (computational) textual analysis – a report of the Nordic Network for Edition Philology-conference in Gothenburg, Sweden (Oct 2015)
  • Die Rückkehr des Werkes (Return of the Work) – report of the symposion at Herrenhausen Palace, Hannover, Germany (Oct 2015)
  • Editing early modern (German) prints in and for a digital environment: conceptual draft and teaser for an upcoming article (Nov 2015)
  • Querying the archive: DH, European enlightenment newspapers, and the Nordischer Mercurius (Dec 2015)

[a little out of the ordinary, this bloggage is in German]

Am 24. Juli war ich zum Expertengespräch und Workshop im neuen Digitalisierungs- und Editionsprojekt Narragonien digital der Universität Würzburg, welches im Rahmen des Würzburger Digitalisierungszentrums Kallimachos gefördert wird, eingeladen. Anlass war eine erste Orientierung sowie Sondierungs- und Konsultationsgespräche in Vorbereitung der Digitalisierung und editorischen Bearbeitung der für das Projekt ausgewählten Narrenschiff-Drucke. Gemeinsam mit zwei weiteren externen Kollegen (aus der Latinistik und der Romanistik) fand der Workshop im kleinen Kreis mit den Projektleitern und -mitarbeitern in informellem Austausch statt. 2009–2011 hatte ich mich bereits umfänglich mit der sog. editio princeps (Basel 1494) des Narrenschiffs von Sebastian Brant unter druckanalytisch-medienhistorischen Gesichtspunkten sowie programmatisch zu einer Neuedition im und für das digitale Medium geäussert, und es war schön zu sehen, dass in einem so groß aufgestellten Projekt wie Narragonien digital meine Überlegungen zur Wahl der Editionsgrundlage, zur Transgraphierung und zu den editorischen Beigaben Eingang finden werden (vgl. hierzu: A.R.: Sebastian Brants »Narrenschiff«Kritische Würdigung vorliegender Editionen und prinzipielle Überlegungen zu einer Neu-Edition. In: editio 25 (2011), p. 42–73).

Narragonien digital fokussiert vor allem auch die Übersetzungen, Übertragungen und Bearbeitungen des Narrenschiffs um 1500 (in verschiedene deutsche Druckersprachen, aber auch ins Lateinische, Französische, Englische), die bisher von der Forschung eher vernachlässigt worden sind und auch keine editorische Aufbereitung erfahren haben. Darüber hinaus versucht das ambitionierte Projekt, eine OCR (optical character recognition) für Frühdrucktypographie zu trainieren, die zuverlässig Drucke der in Frage kommenden Offizinen, in Antiqua- und gebrochenen Schriften, erkennen – und die Texte damit auch maschinenlesbar zugänglich machen – kann. Eine funktionierende und in ihren Resultaten zufrieden stellende OCR für gebrochene Schriften (der Frühdruckzeit) ist seit langem ein Desiderat und es bleibt zu hoffen, dass im Rahmen des Würzburger Projekts hier signifikante Fortschritte gemacht werden, von denen die community der Frühneuzeitforscher und -editoren – auch und vor allem in kleinen und Kleinstprojekten – wird profitieren können.

Meine Beschäftigung mit dem Narrenschiff war und ist zunächst druck- und buchgeschichtlich, genauer: typographiegeschichtlich. Vor diesem Hintergrund würde ich mir vor allem wünschen, dass die OCR nicht “nur” den Text möglichst fehlerfrei erkennen kann, sondern auch die jeweiligen Schriftklassen: für eine computergestützte Analyse der Typenverteilung im Narrenschiff-Erstdruck wäre dies enorm hilfreich und könnte wesentlich dazu beitragen, den Satz und die Korrekturfolgen der editio princeps für alle Bogenseiten zu rekonstruieren (mir war dies im Rahmen meiner Studie nur für die Lage E möglich). Die Buch- und Druckforschung, insbesondere die Inkunabelkunde, könnte hier in der Breite neue Erkenntnisse zur Frühdruckzeit gewinnen und gesicherte(re) Schlüsse aus dem überlieferten Material auf dessen Herstellung sowie die Verbreitung und den Handel mit Drucktypen ziehen!

Nach dem Workshop und den vielen intensiven Gesprächen plane ich, meine Arbeiten an der causa Narrenschiff-Erstdruck in naher Zukunft wieder auf zu nehmen und stelle diese gerne dem Narragonien-Projekt als Addendum der digitalen Edition sowie zur Weiterarbeit zur Verfügung.

24. May 2015 · Comments Off on My Day of DH 2015 – Recap · Categories: Digital Humanities · Tags: , , , , , ,

Puh! DayofDH2015 is long over now – thank goodness! That day was crammed with non-work related stressful appointments and my neat schedule eventually turned into a chaotic mess…

Well! In the meantime, I made some progress regarding the projects I had to-do-listed for Day of DH 2015:

  • I edited the #NordicDH conference call for papers; the program committee is about to finalize it and we hope to get it out by end of May / start of June 2015. Time schedule and budget are also in their final editing stages!
  • I outlined the Ph.D. seminar Academic Blogging for Early Career Researchers. An Introductory Seminar and Hands-on Workshop, including a budget, schedule etc. and submitted it to the Ph.D. program board. Hopefully, I’ll get funding from the Faculty of Humanities at UiO to do the one and a half day seminar. If so, it will be a great learning and teaching experience and there will be awesome academic bloggers who ‘talk out of school’ and do the practical, hands-on intro! The seminar will also be part of the Digital Humaniora Forum seminar series at the University of Oslo and is (roughly) scheduled for mid-September 2015.
  • Unfortunately, I couldn’t attend the #DHOslo steering committee’s monthly meeting, however, there will be another course of seminars in the DH forum series in the fall semester 2015 (probably monthly, on Tuesdays) at UiO. I prepared an internal report on DH Forum; in my judgement, the series went really well, we covered a broad spectrum of topics and humanities disciplines and attracted a diverse audience (and a small group of hardcore DHers who attended almost all of the seminars, regardless of topic and specialization). Audience sizes varied between 15 and 40, which is quite large, considering that the series is a local, small-scale initiative, held on a weekday between 2-4pm.
  • I accepted the invitation to the Wolfenbütteler Arbeitsgespräch and hinted a topic I would like to tackle (and that the ones who invited me would like me to elaborate on). If everything goes well, I’ll be re-visiting the wonderful Herzog August research and special collections library in Wolfenbüttel, Germany, in November 2015. It would also be great to spend some additional days there to do some critical editing and descriptive bibliography for the Ethica Complementoria-edition in my digital edition of the works and writings of baroque poet, journalist, historian, and entrepreneur Georg Greflinger (1620-1677).
  • I successfully transferred my old MS-Word project bibliography into Zotero. It was, however, more manually than semi-automatically. A very common (and very frustrating) characteristic of my field of research is, that a lot – if not most! – of the articles are not journal articles but articles in collections, conference proceedings, anthologies etc. And since my work – at least partially – deals with (modern) history of philology, they are also OLD, but, unfortunately, not old enough to be already out of copyright, digitized, and neatly catalogued with clean metadata, so that ‘picking’ them with the Zotero-button in the browser is easy done in 2 seconds. What adds to the frustration is that Zotero, unlike Citavi (and maybe other reference databases, I don’t know), is designed for disciplines that heavily rely on (digital) journal articles and for some reason does not feature an in-built connector for single articles in collections and the collection (and its editors, publisher, place, date…) itself! Which basically means that one has to type all the crucial information for each and every article of the same collection every single time. (OK: if you already know there is more than one you want to add, you can use the “duplicate this entry”-function. However, if you’re adding a lot of entries this is prone to failure (page ranges get duplicated as well as tags and other stuff you don’t want to have…) which leads to still a lot of manual editing and typing (or in my case: dictating & spelling… oh, those names and those fancy titles… how I hate them!)) – I did it, though, and will transfer some other MS-Word bibliographies as well as a number of pdf-scanned ones when I feel up to it ;)
  • Apart from this: I really, really love Zotero! I will probably teach another Zotero intro course in the fall semester at UiO and try to convince my humanities colleagues of the many advantages of using a database instead of text-file bibliographies.

So, even though my (first) Day of DH wasn’t very representative of my usual days at work and also not very DH-ey, at least I got some work done afterwards and a couple of DH-projects are on their way! Looking forward to the fall semester at UiO!